„Meine Kollegen sagten: Das braucht doch kein Mensch!“
Die Deutschen verschicken im Jahr über 60 Milliarden SMS. Erfunden wurde die Kurznachricht vor 30 Jahren von einem Bonner: Friedhelm Hillebrand blickt im Interview zurück.
Herr Hillebrand, wann haben Sie zuletzt eine SMS verschickt?
(überlegt kurz) Das müsste gestern gewesen sein.
Was war der Grund?
Ich musste meiner Frau etwas wichtiges Privates mitteilen und konnte sie telefonisch nicht erreichen. Seit ich ein Smartphone habe, schreibe ich wieder häufiger SMS, weil die Tastatur sich so bequem bedienen lässt.
Allein in Deutschland werden pro Tag 148 Millionen SMS verschickt. Warum kommt dieses Kommunikationsmittel auch im Internet-Zeitalter noch so gut an?
Eine SMS erreicht den Empfänger auch dann, wenn der kein Internet zur Verfügung hat. Außerdem stört sie weniger als ein Anruf – etwa, wenn jemand in einem Meeting sitzt und sein Handy stummgeschaltet hat. Weiterer Vorteil: Man kann sie speichern und ihren Inhalt nicht so leicht vergessen. Dafür sind die Kunden sogar bereit mehr zu bezahlen als für Emails oder kurze Anrufe.
Sie haben 1984 als Nachrichtentechniker bei der Telekom die Idee zur SMS gehabt. Haben Sie damals auch nur ansatzweise damit gerechnet, dass die SMS heute so stark genutzt wird?
Nein, auf keinen Fall. In Deutschland besaßen damals 27.000 Leute mobile Telefone, Autotelefone waren das. Die Dinger waren ein Luxusgut und kosteten 5000 Mark. Dass irgendwann mal jeder ein Handy haben könnte, war völlig undenkbar. Heute werden in Europa pro Jahr 500 Millionen Mobiltelefone verkauft.
Wie kamen Sie auf die Idee, Kurznachrichten mit dem Handy zu verschicken?
Schon damals besaß jedes Telefon einen Steuerkanal, der zum Aufbau und Abbau der Verbindung genutzt wird. Er dient vor allem dazu, dass es beim Telefonieren nicht knackst und rauscht. Allerdings wird dazu nur ein ganz kleiner Teil dieses digitalen Funkkanals benötigt. Ich habe mich gefragt: Was könnte man mit den restlichen Kapazitäten anfangen?
Nachrichten verschicken?
Ja. Allerdings bietet dieser Funkkanal nur Platz für genau 160 Zeichen. Ich hielt das anfangs für einen großen Nachteil und dachte mir, dass man in 160 Zeichen ja viel zu wenig Infos unterbringen kann. Ich erzählte einigen Kollegen von der Idee, und alle meinten: Diese Kurznachrichten braucht doch kein Mensch! Trotz aller Zweifel startete ich ein Experiment mit Postkarten.
Was haben Postkarten denn mit Mobiltelefonen zu tun?
Auf Postkarten ist der Platz auch begrenzt. Viel mehr als 160 Zeichen passen da nicht drauf. Die nächsten drei Wochen schrieb ich probeweise immer, wenn ich jemandem etwas Kurzes mitteilen wollte, diese Mitteilung auf eine Postkarte. Nach drei Wochen hatte ich einen ganzen Haufen beschriebener Postkarten zusammen. Das überzeugte mich.
Wie ging es dann weiter?
Wir entwickelten die SMS im Team und arbeiteten jahrelang an einer Standardisierung, setzten uns mit Mobilfunkbetreibern aus vielen Ländern zusammen. Das ist ein Erfolgsgeheimnis der SMS: Sie funktioniert heute mit allen Endgeräten und in allen Netzen. Außerdem war sie von Anfang an recht kostengünstig. Der benötigte Funkbereich war schon vorhanden, und ein Display und eine Tastatur hatten die Telefone auch schon. Bis zum Durchbruch der SMS dauerte es dann aber noch Jahre, wirklich massenhaft genutzt wird sie etwa seit dem Jahr 2000.
Was war der Auslöser?
Entscheidend war, neben der enormen Verbreitung von Handys, dass die Jugend die SMS für sich entdeckt hat. Sie war bequem, praktisch, günstiger als die Telefongebühren, und sie war etwas, das die Erwachsenen nicht nutzten. So konnte man sich abgrenzen. Meine Kinder nutzten die SMS dann auch bald viel mehr als ich.
Wird die SMS WhatsApp und andere Konkurrenten überleben? Dazu Friedhelm Hillebrand auf der nächsten Seite.
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Hi,
wann wurde das Interview mit Herr Hillebrand geführt, ich finde keine genaue Datumsangabe? Danke
Hallo Frau Beck,
ich habe Herrn Hillebrand am 25.06.13 getroffen.
Mit freundlichen Grüßen, Jan Wittenbrink