Quasselstrippe mit Computerstimme

Kathrin Lemler kann weder sprechen noch einen Stift halten. Die Digitalisierung hat ihr Leben verändert. Sie würde lieber aufs Essen verzichten als auf ihren Computer.

Wenn „Tobii“ kaputt ist, wird Kathrin Lemler unausstehlich. Denn Tobii hilft der 28-Jährigen dabei, den Fernseher einzuschalten, Emails zu schicken und Vorträge zu halten. Kathrin Lemler hat ihn immer im Blick, ein Leben ohne ihn kann sie sich nicht mehr vorstellen. Tobii, genauer: My Tobii C12, ist ein Sprachcomputer – und Kathrin Lemler steuert ihn mit den Augen.

BU. Foto: Jedicke/Holzki

Masterstudium und Doktortitel: Dank der Digitalisierung ist das für Kathrin Lemler möglich. Foto: Holzki

Kathrin Lemler braucht Tobii, weil sie Schwierigkeiten hat, ihre Muskeln kontrolliert zu bewegen. Vermutlich starben die dafür zuständigen Gehirnzellen durch einen Sauerstoffmangel bei der Geburt ab. Infantile Cerebralparese heißt diese Behinderung, die ihr Laufen und Sprechen unmöglich macht. Im Denken schränkt sie das nicht ein. Nächstes Jahr will die Studentin der Uni Köln ihren Bachelor in Erziehungswissenschaften machen. Ein Masterstudium? Doktortitel? Nicht undenkbar. Tobii und die Digitalisierung helfen ihr dabei.

Kathrin Lemler schreibt mit den Augen
Tobii kann jedoch längst nicht alles. Deswegen wird Kathrin Lemler an 35 Stunden in der Woche von ihrem Assistenten David Strenzler begleitet. Er kocht für sie, reicht ihr das Essen, schreibt in der Uni für sie mit. Aber vieles andere macht Tobii einfacher. Zum Beispiel die Hausarbeiten. Manchmal arbeitet Kathrin Lemler neun Stunden am Tag daran. Dann visiert sie hochkonzentriert Buchstaben für Buchstaben auf dem Bildschirm des Sprachcomputers an. Eine Infrarotkamera verfolgt ihre Pupillen. Sie misst die Reflexion des Lichtes auf der Netzhaut und löst die fixierte Taste aus. Das Gerät kann Infrarotlicht von anderen Lichtquellen leicht unterscheiden.

Nach den ersten Buchstaben macht Tobii auch Ergänzungsvorschläge. Allerdings erkennt er den Kontext nicht. Viele seiner Vorschläge sind für wissenschaftliche Hausarbeiten nicht zu gebrauchen. Kathrin Lemler beklagt sich trotzdem nicht. Sie kann sich noch gut erinnern, wie mühsam sie als Zehnjährige mit ihrem ersten Sprachcomputer – dem Delta-Talker – buchstabierte.

Der Delta-Talker war eine große graue Kiste. Er war mit einer Taste in der Kopfstütze von Kathrin Lemlers Rollstuhl vernetzt. Auf dem Bildschirm wurde ihr ein Buchstabe nach dem anderen vorgeschlagen, bis sie mit dem Hinterkopf die Taste drückte. Jeder Schreibfehler kostete Nerven.

Wie Kathrin Lemler mit ihrem Sprachcomputer von sich Reden macht, lesen Sie auf Seite 2.

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