Mensch und Maschine
Wenn ein Tauber wieder hören kann, ist das kein Wunder, sondern eine technische Meisterleistung. Sogenannte Intelligente Implantate übernehmen heute wichtige Körperfunktionen. Trotzdem hadert mancher Betroffene.
Mit 16 bekam Enno Park die Masern. Als er die Krankheit überstanden hatte, waren ihm nur zehn Prozent seines Hörvermögens geblieben und er galt fortan als gehörlos. Heute ist er 40 Jahre alt und trägt seit zwei Jahren ein sogenanntes Cochlea-Implantat, das sein Innenohr ersetzt. Anders als bei normal Hörenden wird der Hörnerv durch das Implantat aber nicht akustisch stimuliert, sondern elektrisch. „Ein Cochlea-Implantat besteht aus einem externen und einem internen Teil“, erklärt Martin Walger, Leiter der Audiologie an der Kölner Uniklinik die Funktionsweise. „Der äußere Teil nimmt über Mikrofone und einen Sprachprozessor Schall, zum Beispiel Sprache, auf und wandelt diesen in elektrische Signale um.“ Die Gewöhnungsphase an diesen neuen digitalisierten Hörprozess ist bei jedem Patienten unterschiedlich lang. Enno Park brauchte einige Monate, um sich umzustellen. Seitdem gehört er wieder zur Gruppe der Hörenden.
Und er gehört seitdem zur Gruppe der so genannten Cyborgs. Der Begriff ist abgeleitet von cybernetic organism (auf Deutsch Kyborg, abgeleitet von kybernetischer Organismus) und wird von der Medizin für Menschen verwendet, die ein künstliches Teil im Körper tragen – vom Herzschrittmacher über komplexe Prothesen bis zum Cochlea-Implantat. So froh Enno Park ist, wieder hören zu können, so sehr hadert er damit, dass er keinerlei Zugriff auf das Implantat hat. „Das Ganze ist ein geschlossenes System, in dem ich als Nutzer keine Chance habe, irgendwas zu verändern.“
Eine Hand fast so gut wie die echte
Anstatt sich sozusagen fremdsteuern zu lassen, möchte Enno Park gerne selber über sein Implantat bestimmen und es seinen Bedürfnissen flexibel anpassen. So würde er seinem Implantat gerne per Smartphone mitteilen, ob er auf einer Feier alle Gespräche im Raum oder nur das Gespräch mit seinem direkten Gegenüber verstehen möchte. Einen Klick auf seinem Handy fände er wesentlich unauffälliger als das Herumnesteln am Steuergerät hinterm Ohr. Über das technische Know-how für solche Veränderungen verfügt Enno Park als überzeugter Hacker. Und auch von Rechts wegen dürfte er auf sein Implantat zugreifen, denn sobald ein Gerät erfolgreich implantiert wurde, gilt es als Körperteil. Doch die Hersteller der Hörhilfen veröffentlichen keine Informationen über die Hard- und Software. Zum einen geht es dabei um Patentschutz, zum anderen steht dahinter die Angst vor Gewährleistungsansprüchen, falls bei einem Eingriff etwas kaputt geht. Schließlich kostet ein Chochlea-Implantat bis zu 50.000 Euro.
Für Enno Park sind das keine nachvollziehbaren Argumente. Er pocht auf sein Recht und sagt: „Mein Implantat gehört mir!“ Für dieses Recht zieht er zu Felde, wirbt auf Veranstaltungen von Hacker-Clubs und plant die Gründung einer Interessenvertretung von Implantatträgern. Deutsche Cyborg Gesellschaft soll sie heißen und sich für die Belange all der Menschen stark machen, bei denen Körperfunktionen oder ganze Körperteile durch Maschinen ersetzt wurden. Außerdem soll sie dabei helfen, Vorurteile über Cyborgs abzubauen. Denn viele, die die Implantatträger heute noch als „Terminatoren“ diffamieren, werden später vielleicht mal dankbar sein, selber vom Fortschritt der Medizintechnik profitieren zu können.