Sensoren für Senioren

Das Fraunhofer-Institut Duisburg forscht an Sensoren, die alten Menschen im Alltag helfen sollen. Auf lange Sicht könnte die Technik sogar die Pflegekräfte in Altenheimen entlasten.

Seit S. einen Sensor unter der Matratze hatte, ist er wieder obenauf. Lange war der 83-Jährige, der in einer Wohngemeinschaft des Sozialwerk St. Georg in Duisburg lebt, tagsüber ständig müde gewesen. Bis ein Sensor das Problem an den Tag brachte: Der alte Mann wälzte sich nachts ständig von einer Seite auf die andere. Nachdem seine Pfleger diese Daten auf dem Computer im Rahmen einer Versuchsreihe analysiert hatten, sprachen sie ihn auf mögliche Ursachen für den unruhigen Schlaf an. Zum ersten Mal erzählte er ihnen von Schmerzen in der Schulter, wurde ärztlich behandelt – und ist seitdem tagsüber fit.

„Das ist dank unserer Sensoren möglich“, bestätigt Levent Gözüyasli vom Duisburger Fraunhofer-Institut. Das und noch viel mehr, wie die so genannte „Entwicklungswohnung“ des Instituts zeigt. So hat es unter anderem das Badezimmer dieser zu Forschungszwecken eingerichteten Wohnung in sich: Sobald jemand die Armaturen berührt, erscheinen im Spiegel wahlweise seine aktuellen Blutdruckwerte oder sein Körpergewicht. Oder er wird an das Zähneputzen erinnert oder daran, dass jetzt seine Pillen fällig sind. Medikamentenschrank und Tablettendose melden nämlich, wenn sie nicht regelmäßig geöffnet wurden.

Der Küchenbildschirm

Der Küchenbildschirm
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Der Bildschirm in der Küche kann von älteren Menschen zum Beispiel dafür verwendet werden, virtuell mit ihren Enkeln zusammen zu kochen. Der Herd und alle anderen Geräte schalten sich automatisch aus, wenn die Küche längere Zeit nicht mehr betreten wird.

Im Schlafzimmer wiederum diagnostiziert ein Sensor im Bett die Schlafqualität und die Häufigkeit des nächtlichen Aufstehens. Der Sensor könnte sogar Alarm auslösen, wenn der Bewohner nicht ins Bett zurückkehrt. „Alle Werte können auch von einem Angehörigen oder Nachbarn überwacht werden“, erläutert Marco Munstermann vom Entwicklungsteam des Fraunhofer-Instituts. Die Daten laufen nämlich bequem auf einem PC zu Hause zusammen und werden nicht extern gespeichert. In der Küche schließlich schalten sich viele der Geräte automatisch ab, sobald sie längere Zeit angestellt waren, ohne dass sich jemand im Raum befunden hat. So soll unter anderem verhindert werden, dass ein älterer Mensch nach dem Kochen vergisst, die Herdplatte wieder aus zu machen.

Günstiger als der Aufenthalt in einem Pflegeheim
Dass die Sensoren einen deutlichen Mehrwert für alte Menschen darstellen, glaubt der Kölner Gesundheitsökonom Ralf Tebest. Allerdings muss aus seiner Sicht vor der Markteinführung in rund fünf Jahren die Finanzierungsfrage geklärt sein. Rund 2500 Euro soll das Wohnungspaket dann kosten. Ralf-Joachim Schulz, Facharzt für Geriatrie im St. Marien-Hospital in Köln, sieht die Krankenkassen in der Pflicht. „Denn“, so der Experte für Altersmedizin, „das ist günstiger, als den Aufenthalt in einem Pflegeheim zu finanzieren.“ Allein in Nordrhein-Westfalen wird es laut Landesdatenbank im Jahr 2030 rund eine Million mehr Menschen über 65 geben als heute, von denen jeder irgendwann vor der Frage steht, ob er noch zu Hause leben kann oder in ein Altenheim umziehen muss. Aber auch in den Alten- und Pflegeheimen selbst sollen die digitalen Helfer zum Einsatz kommen, um den Mangel an Altenpflegern zumindest teilweise kompensieren zu können.

Die Wissenschaftler des Duisburger Fraunhofer-Instituts wollen sich indes nicht nur auf sozusagen äußerliche Hilfestellung durch Sensoren beschränken. Sie arbeiten an einem Projekt mit, für das unter anderem die Europäische Union 2,9 Millionen Euro bereit gestellt hat und sich mit dem Problem der Vereinsamung von alten Menschen beschäftigt. Levent Gözüyasli und seine Kollegen entwickeln eine Social-Media-Plattform, die speziell auf die Bedürfnisse älterer Menschen zugeschnitten ist. „Unsere Großeltern meiden Facebook & Co. vor allem deshalb, weil sie nicht mit der Technik zurecht kommen“, sagt der 27-jährige Forscher. Deshalb haben die Duisburger ein soziales Netzwerk entwickelt, das über den Fernseher funktioniert. Schließlich wissen die meisten älteren Leute mit der Flimmerkiste problemlos umzugehen. Per interaktiver Plattform könnten die betagten Zuschauer in Zukunft gemeinsam überlegen, wer im Krimi der Mörder ist – oder sich gleich zu einem gemeinsamen Fernsehabend verabreden. Weil die Texteingabe über die Fernbedienung zu mühsam wäre, bringen die Forscher auch hier Sensoren ins Spiel. Sie statten die Wohnung mit einem Lesegerät aus, das mit dem sozialen Netzwerk im TV verbunden ist. Legt man etwa ein Buch darauf, erkennt das Lesegerät anhand des Barcodes, um welche Lektüre es sich handelt und fragt auf dem Fernsehbildschirm: „Wollen Sie Ihren Freunden diesen Krimititel als Leseempfehlung senden?“ Öffnet man den Gewürzschrank, registriert auch das ein Fühler und schlägt vor, jemanden zum Essen einzuladen. Ein Sensor in der Hundeleine regt an: „Wollen Sie nicht Ihren Nachbarn mit zu einem Spaziergang nehmen?“ Levent Gözüyasli vom Duisburger Fraunhofer-Institut ist sich sicher: „Das würde vielen älteren Menschen ein angenehmeres Leben ermöglichen.“

 

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